Leseprobe Nr. 1 aus „Der geklaute Garten“ von Gesine Schulz:
Eine unruhige Nacht
Billie saß im Bett und ärgerte sich. Um ein Haar hätte sie den Bankräuber gehabt!
Der Kassierer hatte ein Geldscheinbündel nach dem anderen über die Theke geschoben. Der Räuber hatte das Geld gierig in einen Einkaufskorb gepackt und gar nicht gemerkt, dass sich die Privatdetektivin Billie Pinkernell von hinten an ihn herangeschlichen hatte.
Gerade wollte sie das große Netz über ihn werfen, schon hatte sie es wie ein Lasso gewirbelt und Schwung geholt, da sagte jemand „Au-au, mein Zeh!“, und Billie war aufgewacht.
Hatte sich der Kassierer den Fuß gestoßen? Hätte er damit nicht warten können, bis der Räuber in Billies Netz gezappelt und sie ihn unschädlich gemacht hätte?
„Ist doch wohl ein Riesenpech, Sophie. Das musst du zugeben“, sagte Billie zu der grauen Katze, die zusammengerollt am Fußende des Bettes lag. Sophie zuckte mit einem Ohr. So viel konnte Billie im fahlen Licht des Mondes gerade erkennen. Sie legte sich wieder hin, schloss die Augen und versuchte in den Traum zurückzukehren.
„Au-au, mein Rücken!“
„Nun sei doch still!“, zischte jemand.
Billie riss die Augen auf. Im Nu hatte sie ihr Federbett zurückgeworfen, war aus dem Bett gesprungen und stand am Fenster. Sophie krabbelte unter der auf ihr gelandeten Decke hervor und sprang mit einem Riesensatz auf die Fensterbank.
Behutsam öffnete Billie das angelehnte Fenster.
Der schmale Vorgarten der alten Villa lag im Dunkeln. Die Straßenlaternen im Kleopatra-Weg und überall in Rabenstein waren schon ausgeschaltet. Es musste nach Mitternacht sein. Billie konnte die Ampel unten auf der Hauptstraße sehen. Sie wechselte gerade von Rot und Gelb nach Grün, aber kein einziges Auto fuhr über die Kreuzung.
Ganz Rabenstein schlief.
Selbst in der Richtung, in der das Haus und die Autowerkstatt der Familie Ley lag, brannte kein Licht. Dabei las Loreley jetzt in den Sommerferien gerne bis tief in die Nacht hinein. Obwohl sie tagsüber schon kaum etwas anderes tat. Solch eine Leseratte wie Loreley hatte Billie noch nie gesehen. Selbst in Berlin nicht, wo sie mit ihrer Mam noch vor kurzem gelebt hatte. Und das war immerhin die Hauptstadt!
Nein, ganz Rabenstein schlief. Nur Billie war wach. Die Kirchturmuhr schlug zwei. Gerade wollte Billie wieder ins Bett steigen, als sie ein Geräusch hörte und innehielt. Sie bekam eine Gänsehaut.
Sophie saß noch auf der Fensterbank, die Ohren nach vorne gebeugt, und sah auf die Straße. Langsam legte sie den Kopf schräg. Was sah sie?
Da war es wieder! Ein fürchterliches Stöhnen, ein Schnaufen und auf dem Bürgersteig schlurfende Schritte, die immer näher kamen.
Auf Zehenspitzen schlich Billie zum Fenster zurück. Eine Wolke schob sich vor das Gesicht des Mondes. In dem grauen Zwielicht meinte Billie eine Form zu erkennen: oval, wie ein kleiner Zeppelin, der über den Spitzen des Gitterzauns entlangzuschweben schien. Aber es war kein Zeppelin. Billie kniff die Augen zusammen. Es war ein riesiger Fisch, fast so groß wie eine Badewanne, der da vorüberzog. Ein Fisch, der aufglänzte, als ihn ein Mondstrahl traf. So, als sei er noch nass, als sei er erst vor Minuten aus den Tiefen des Flusses aufgetaucht. Aber zu wem gehörten die Schritte, die ihn langsam begleiteten, wer stöhnte da unterdrückt und wer machte warnend „Pssssst!“?
Der Mond verschwand hinter einer Wolkenbank und Billie konnte nichts mehr erkennen. Sie blieb am Fenster stehen, bis die Geräusche der unheimlichen Prozession leiser und leiser wurden und Billie sie nicht mehr vom Wispern des Windes unterscheiden konnte.
„Du dicke Socke! Was war denn das? Ganz schön unheimlich, oder? Vielleicht träume ich ja noch. Könntest du nicht ein Gedicht aufsagen, Sophie? Oder ein Lied singen? Dann wüsste ich genau, dass ich träume.“
„M-mau!“ machte Sophie, sprang vom Fensterbrett und kehrte aufs Bett zurück.
„Na, das hilft mir jetzt aber kein bisschen“, meinte Billie und folgte ihr. Als sie schon fast wieder eingeschlafen war, hörte sie, wie der Motor eines Lasters angeworfen wurde. Der Wagen fuhr los, rumpelte auf die Straße und entfernte sich in die andere Richtung.
Leseprobe Nr. 2:
„Du hast einen neuen Fall?“
Billie hatte in ein Sirupbrot gebissen. „Joh“, sagte sie mit vollen Mund. „Oinen Foll met oiner Fö.“
„Einen Fall mit einer Fö?“
Billie kaute und schluckte. „Nee, mit einer Fee. Hast du von dem geklauten Garten gehört?“
Tim nickte.
„Den muss ich suchen. Der Sheriff hat es mir verboten, zuerst. Aber dann hat er gesagt, ich SOLL es tun. Nur weiß er nicht, dass er mir das gesagt hat.“
„Häh?“
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Ende der Leseproben aus „Der geklaute Garten“.
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